Dass die Halbwertzeit des Gebäudes ihrem Lebensende entgegen strebt, fällt schon beim Blick auf eine der Wände auf: Ein offenbar etwas voreiliger Baggerführer hat dort schon ein kleines Stückchen der Mauer entfernt. Vom Hallenboden aus können Besucher den blauen Himmel sehen. Das ist aber nicht viel mehr als ein kosmetischer Schaden. Und überhaupt: Der Blick wird schnell von den farbenprächtigen Wandgemälden, Installationen und Graffitis abgelenkt. Hunderte Spraydosen und Farbeimer stehen herum, sind Zeugnis der kreativen Arbeit, die die Künstlerinnen und Künstler hier in den vergangenen Wochen vollbracht haben.
Über den Erfolg sind die beiden Ausstellungsmacher, Marlene Kaiser und Andreas Friedrich, immer noch etwas erstaunt. „Wir waren von dem großen Ansturm überrascht, die Besucher standen teils eine Stunde, um auf das Gelände zu kommen“, sagt Kaiser. Ein schönes Erlebnis sei das, so die Studentin, die in Oldenburg Kulturanalyse studiert. „Das ist für uns eine Bestätigung gewesen.“
Die Idee zu der Ausstellung entstand am WG-Tisch. Und die Zeit zum Organisieren war knapp, in nur wenigen Wochen realisierten die Studenten das Projekt. Den Tipp für die Leinwand aus Stein bekamen sie von der Zwischenzeitzentrale (ZZZ), die unter anderem leer stehende Gebäude einer Zwischennutzung zuführt, und deren Mitarbeiter im benachbarten Verwaltungsgebäude der geschlossenen Fleischwarenfabrik Könecke direkt auf das Gelände schauen können.
In den vergangenen Wochen zitterten die beiden Organisatoren allerdings, ob es überhaupt möglich sein wird, die Ausstellung zu öffnen. „Deswegen haben wir auch mit Ende März den spätesten Termin vor dem Abriss im April gewählt“, sagt Marlene Kaiser. Die nicht erfüllte Hoffnung: sinkende Corona-Zahlen. Nun ist ein Konzept abgesprochen, bei dem nur jeweils eine begrenzte Anzahl von Besuchern die Ausstellung betreten dürfen, und auch nur nach vorheriger Anmeldung. „Es dürfen 75 Besucher gleichzeitig auf das Gelände und jeder Besucher hat dann über 20 Quadratmeter Platz zur Verfügung“, erklärt Friedrich das Konzept. Er ist froh, dass es noch mit dem jetzigen zweiten Teil der Ausstellung geklappt hat. „In der Halle stellen viele Künstler aus, die draußen noch gar nicht ausgestellt haben und die wollten wir auch nicht vergessen.“
Friedrich, der an der Hochschule Bremen Angewandte Freizeitwissenschaften studiert, vermutet hinter dem Erfolg auch eine gewisse Neugier, was auf dem Gelände derzeit geschieht. „Es waren auch einige Leute da, die hier früher gearbeitet haben und die sehen wollten, wie es hier jetzt aussieht. Sicherlich auch mit dem Gedanken, dass bald alles weg sein wird.“ Er spricht von einem gewissen „Erlebnischarakter“ auf dem gesamten Gelände. „Schon allein von der Dimension. Es ist nicht die klassische Galerie, wo Bild neben Bild hängt, sondern hier gehen die Bilder auch ineinander über.“
Die Ausstellung „Discart – Kunst bis zum Ende“ öffnet von Freitag, 26. März 2021, bis Sonntag, 28. März 2021, in der Ahlringstraße 17 wortwörtlich die Tore. Eine Anmeldung ist über die Internetseite www.kunstbiszumende.de nötig. Wer keinen Platz mehr über die Seite ergattern kann, hat die Möglichkeit auf einen Live-Stream zuzugreifen, der über die Internetseite bereitgestellt wird. Zusätzlich wird außerdem ein Ausstellungskatalog erscheinen.
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