ZwischenZeitZentrale Bremen

Gefühle auf Leinwand - Weser Kurier, 09.01.2023

Eintrag von am 09.01.2023

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Hemelingen. Ein bisschen ist es wie im Taubenschlag in den Räumen des „Wurst Case“. Und genau so wollen es die Akteure der Bremer Zwischenzeitzentrale (ZZZ). Sie vermitteln Räume auf Zeit zu erschwinglichen Preisen in der ehemaligen Wurstfabrik Könecke in Hemelingen, um kreative Ideen und Projekte zu fördern.

Etage für Etage müssen Ugur Karatas und Candan Öztürk ihre Bilder schleppen. Ihr neues Atelier liegt im dritten Stock. Der Fahrstuhl ist gerade kaputt. Aber die beiden Künstler wollen sich nicht beschweren. Sie sind überglücklich, am Ende des Flures zwei lichtdurchflutete Räume ergattert zu haben – ohne eine trennende Tür. Die brauchen sie auch nicht. „Wir tauschen uns aus und geben uns Tipps. Ein sehr angenehmes Arbeiten“, schwärmt Karatas.

In Izmir und Bremen studiert

Herkunft und Sprache verbinden sie. Beide haben Malerei in Izmir studiert, der türkischen Partnerstadt Bremens. Kennengelernt haben sie sich jedoch erst an der hiesigen Hochschule für Künste, die Öztürk vor vier Jahren beendete und sein Künstlerkollege im vergangenen Jahr.

„Hier habe ich endlich genug Platz zum Arbeiten“, freut sich Karatas. Seine abstrakten Werke sind wandfüllend. Das Auge des Betrachters braucht die großen Flächen, um die Strukturen durchwandern zu können. Dem Künstler haben es organische Formen angetan, etwa die Oberfläche eines Steins, dessen Craquelé wie durch einen Zoom vergrößert erscheint. Die filigranen Strukturen entstehen durch Monotypie, einer besonderen Drucktechnik, bei der auf Glas-, Acryl- oder Metallplatten gezeichnet oder gemalt wird, um die Unterlage dann zu drucken. Anschließend bearbeitet Karatas die Leinwand mit Ölfarben, Spray und Acryl. Plastiktüten und Alufolie geben zusätzlich Struktur und verwandeln die Fläche in eine Landschaft.

In seinem Atelier zu Hause im Viertel habe er aus räumlichen Gründen nie seine Idee verwirklichen können, erzählt Karatas. Nun stehen einige Holzlatten für Rahmen in der Ecke, die er selbst zusammenzimmert. 1,50 mal 4,50 Meter soll das nächste Werk messen. Seinen Lebensunterhalt verdient sich der 31-Jährige mit Übersetzungen und Kunstprojekten für Jugendliche. Doch mehr und mehr macht sich Karatas mit seiner Kunst einen Namen. Während er in Deutschland für den Ottersberger Kunstpreis und den Werner-Kühl-Preis nominiert wurde, verkauft er in seiner Heimatstadt Istanbul Werke an Galerien.

An Arbeiten von Candan Öztürk ist bereits so manch ein Oberneulander vorbeigeradelt. Der 34-jährige Hastedter sahnte den ersten Preis für die künstlerische Gestaltung des Fußgänger- und Fahrradtunnels an der A 27 ab. Die bunt bemalten Wände sind Auftragsarbeiten der Stadt. Mit ihnen bestreitet Öztürk seinen Lebensunterhalt, doch sie haben nichts mit dem gemein, was ihn persönlich künstlerisch beschäftigt. Ihm hat es die fotorealistische Malerei angetan. Und die beherrscht er bis zur Perfektion.

Das Porträt einer auf dem Sofa liegenden Frau, die ihren Kopf seitlich zum Betrachter dreht, verblüfft durch eine Detailschärfe, die jede noch so kleine Pore und Hautveränderung zeigt. Bis zu drei Wochen Arbeit, täglich zehn bis 15 Stunden stecken in Öztürks Werken. Seine Technik fordert Ausdauer. „Ich benutze den hier“, weist er auf einen Pinsel in den Gläsern auf der Fensterbank. Nur wenige Härchen ragen aus dem Stiel.

Bekannte stehen Modell

Modell standen ihm Bekannte. Farben und Formen der Bildkulisse verändert Öztürk nach seinem Gusto. So bot das ursprünglich schwarze Sofa keinen Kontrast zur Porträtierten und erscheint im Bild dann einfach türkis.

Die Realitätsnähe der Architektur und der Porträtierten verblüfft, dennoch lassen die Bilder einen Interpretationsspielraum. „Wie der Ausdruck der Gesichter zu deuten ist, überlasse ich jedem selbst“, meint der Maler. Ob müde, traurig, verträumt, die Deutung bleibt offen. Vielleicht sei ein bisschen von allem zu sehen, überlegt er. „Ich möchte zeigen, was ich fühle und meine Stimmung zwischen den Kulturen zum Ausdruck bringen.“

In den vier Jahren, die er in Deutschland lebt, hat er eine deutsche Frau geheiratet, mit der er zwei Kinder hat. Den Kontakt zur Heimat pflegt er weiter. „Die Integration in Deutschland war nicht schwer“, resümiert er. Nun muss er sich nur noch mit seiner Kunst etablieren. Eine Ausstellung in Bremen, das wäre sein Traum.

Bremer Tageszeitungen AG, Martinistrasse 43, 28195 Bremen (c) Silja Weisser / Fotos: Petra Stubbe (c) 2022