„Integration braucht gemischte Orte“, Weser Kurier, 17.11.2015
Eintrag von am 19.11.2015
Daniel Schnier von der Zwischenzeitzentrale fordert Begegnungsräume für Flüchtlinge, Künstler und Besucher
Sie plädieren dafür dass man die vielen Kreativen, Stadtteilinitiativen und Selbstständigen, die in Bremen Räume suchen, mit Flüchtlingen unter ein Dach bringen könnte. Was genau stellen Sie sich vor?
Daniel Schnier:
Im Rahmen des "EU-Projekts „REFILL" sprechen wir mit Partnerstädten darüber, wie man Methoden und Konzepte der Zwischennutzung weiterentwickeln und auf andere Projekte übertragen kann. In Bremen liegt der Fokus darauf, wie man Flüchtlinge in die Stadtgesellschaft integrieren kann. Dabei ist Augsburg für uns ein Vorbild: Was dort im Grandhotel Cosmopolis entstanden ist, könnte auch in Bremen entstehen.
Sie haben sich das Grandhotel Cosmopolis angesehen. Was ist das für ein Ort?
Ein ehemaliges Seniorenheim in der Augsburger Innenstadt, das der Diakonie gehört, ist umgestaltet worden: In einem der beiden Flügel des Gebäudes wurde ein Übergangswohnheim für Flüchtlinge eingerichtet, in den anderen Flügel sind Künstler eingezogen. Gäste können in selbst gestalteten Hotelzimmern übernachten, in der Mitte des Gebäudes gibt es eine Bar und ein Café als Begegnungsraum und eine Bürgergaststätte. Das Grandhotel Cosmopolis ist ein gesellschaftliches Gesamtkunstwerk. Dieser Ort schafft den schwierigen Spagat und strahlt in die Stadt Augsburg, bundesweit und europaweit aus.
Was würden Sie sich davon versprechen, wenn es so etwas auch in Bremen gäbe?
Die Situation in den Flüchtlingsunterkünften ist schwierig. Wie ist die Stimmung in den Zelten? Wie wird sie im ehemaligen Bundeswehrhochhaus sein, wenn dort 450 Menschen untergebracht sind? Da wird man doch verrückt. Wir müssen aufpassen, dass es in Bremen nicht auf längere Sicht isolierte Flüchtlingsunterkünfte gibt, in denen man marginalisierte Gruppen zusammensteckt. Manche sprechen ja jetzt schon inoffiziell von „Lagern". Momentan geht es darum, die Flüchtlinge schnell unterzubringen - egal wie. Soziale und kulturelle Aspekte spielen dabei erst mal keine Rolle. Aber die Verträge für Unterkünfte werden zum Teil trotzdem für zehn Jahre und länger gemacht. Was geschieht in zehn Jahren: Kann dort Integration mit der Nachbarschaft im Stadtteil langfristig entstehen? Gibt es Austausch?
Ist das nur für Flüchtlinge schwierig?
Das ist auch für die Bremer nicht gut. In die Flüchtlingsheime und Zelte kann ich ja als Bürger nicht einfach reingehen, da gibt es Zäune, eine Überprüfung und einen Sicherheitsdienst. Das wäre bei einem gemischten Ort in Anlehnung an das Grandhotel Cosmopolis anders: Dort könnte man einen Kaffee trinken, das wäre eine Anlaufstelle, an der Netzwerke und Freundschaften entstehen können. Es ist wichtig, dass es solche Räume gibt, die als urbane Labore funktionieren.
Die Sozialbehörde sucht händeringend nach Flüchtlingsunterkünften. Weil sich nicht genug Gebäude finden, leben Leute in Zelten. Glauben Sie, da ist es realistisch ein Gebäude nur halb für Flüchtlinge zu nutzen, damit in die andere Hälfte Künstler und ein Café einziehen können?
Ich glaube, das ist denkbar. Man muss die Ideen der Zukunft jetzt ausprobieren. Und es sind nicht nur die Künstler, sondern wir alle, die etwas tun können.
Wie ist die Situation für Kreative, Gruppen und Selbstständige, die in Bremen nach Räumen suchen, wenn jetzt so dringend Flüchtlingsunterkünfte gesucht werden?
Momentan stehen alle Räume, die für Zwischennutzung infrage kommen, zur Prüfung an, auch das ehemalige Könecke-Verwaltungsgebäude in Hemelingen, in das wir als ZZZ und mit anderen Nutzern im Rahmen des Projekts „Wurst Case" eingezogen sind. Wir würden gerne bleiben, aber wir haben der Sozialbehörde signalisiert: Wenn das Gebäude gebraucht wird, sind wir in zwei Wochen raus. Es suchen aber weiterhin viele Gruppen in Bremen nach bezahlbaren Räumen: Es gibt unheimlich viele Musiker, Theatermacher, Programmierer und andere Internetfreaks, Erfinder, Selbstständige, 3D-Drucker, Elektroautohersteller, Fahrradbauer, Multicopterbauer, Lebensmittelhersteller und subkulturelle Gruppen in dieser Stadt.
Wie könnte ein Austausch zwischen solchen Gruppen und Flüchtlingen entstehen?
Für Ankommende ist es wichtig, die Sprache zu verstehen und Leute in der Stadt kennenzulernen, die vielleicht Kontakte für die weitere Bildungs- und Arbeitssuche vermitteln können. Ich kann mir gut eine Art Think Tank vorstellen, bei dem sich Programmierer aus Syrien und Bremen austauschen. Auch gemeinsames Kochen funktioniert oft gut. Man sollte die Menschen, die hierherkommen, fördern und nicht aufs Abstellgleis verfrachten. Es geht ja auch darum, es bei der Integration besser zu machen als in den Achtzigern und Neunzigern: Man muss den Leuten, die zu uns kommen, das Gefühl geben, dass sie willkommen und angekommen sind. Durch die vielen Menschen auf der Flucht öffnen sich hoffentlich weitere Herzen und Köpfe.
Wo könnte ein gemischter Ort für Flüchtlinge und Raumsuchende entstehen?
Wie wäre es zum Beispiel, wenn man im ehemaligen Bundeswehrhochhaus nicht alle Etagen mit Flüchtlingsräumen füllt, sondern auch Etagen für Büros, Ateliers oder ein Café einplant? Man könnte auch an einen der Tabakspeicher auf dem ehemaligen Brinkmann-Gelände in Woltmershausen denken. Und auf dem ehemaligen Könecke-Gelände in Hemelingen ist bislang nur das Verwaltungsgebäude zwischengenutzt. Hier stehen noch weitere Firmengebäude leer. Man muss aber urbane Labore nicht riesig denken, es sind auch kleine urbane Satelliten denkbar.
Das Interview führte Sara Sundermann.
Zur Person: Daniel Schnier, geboren 1977, ist Diplom-Ingenieur der Architektur, Gründer des AAA - Autonomen Architektur Ateliers und betreibt mit Oliver Hasemann die Zwischenzeitzentrale (ZZZ), die sich dafür einsetzt, Leerstand in der Stadt mit Leben zu füllen. Die ZZZ ist ein Projekt der Wirtschafts- Bau-, Finanz- und Kulturbehörde.
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(WURST CASE)
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