WURST CASE - le mouvement créatif á l'est!
Eintrag von am 23.03.2015
Bremen. Sie nennen es den „Wurst Case": Mit Witz und Wagemut wollen Existenzgründer, Künstler und Erfinder gemeinsam in einen Stadtteil ziehen, der bislang den meisten innovativen Bremern eher als das Gegenteil von sexy gilt: Nach Hemelingen, aufs Gelände der ehemaligen Bremer Wurstfabrik Könecke. In das frühere Verwaltungsgebäude von Könecke, das seit einem Jahr leer steht, könnten 80 bis 100 verschiedene Nutzer ziehen.
Das Interesse an dem Gebäude ist groß: Zur Besichtigung des 1500-Quadratmeter-Gebäudes kamen an die hundert Neugierige und potenzielle Nutzer. Darunter waren Mode-Designerinnen aus Berlin, Grafiker und Musikproduzenten, die ein Kindermusical planen. Künstlerinnen aus dem Bremer Osten suchen nach Atelierräumen, Vereine wie die Tanzbar Bremen, die zeitgenössischen Tanz für Behinderte und Nichtbehinderte anbietet, nach Büros. Im Gespräch ist auch ein Sozialkaufhaus im Erdgeschoss des Gebäudes.
Angezettelt hat das Ganze die Zwischenzeitzentrale (ZZZ), die sich dafür einsetzt, Leerstand in der Stadt mit Leben zu füllen und dem Nachwuchs für Kultur und Wirtschaft bezahlbare Räume zu vermitteln. Daniel Schnier und Oliver Hasemann von der ZZZ haben über ihr Autonomes Architektur Atelier AAA das Könecke-Gebäude gemietet. Der schlimmste Fall - der „Wurst Case" - solle sich in den „Best Case", den bestmöglichen Fall verwandeln, erklärt Daniel Schnier von der ZZZ. „Scheitern ist erlaubt", betont er. Die ZZZ wird von mehreren Bremer Behörden getragen und bundesweit als innovatives Modellprojekt zur Stadtentwicklung und Leerstandsbekämpfung gehandelt. Immer mehr Städte in Deutschland und Europa wollen von Bremen und der ZZZ lernen.
Doch zurück nach Hemelingen: „Findet Euren ,Best Case', Eure Lieblingsräume", so lautete der Auftrag für die Interessenten, die bei der Besichtigung von ZZZ-Mitarbeitern in weißen Arbeitskitteln durch das Gebäude geführt wurden. „Die Wurst hat ausgespielt", sagt einer der Besucher schmunzelnd. Er sucht nach Räumen, um einen Bioladen mit Jazz-Café aufzumachen. Zuletzt versammelten sich alle im obersten Stockwerk - bei Häppchen mit Räuchertofu. Keine Wurst? „Wir wollen das Karma dieses Ortes verändern", sagt Schnier. Am 1. April zieht auch die ZwischenZeitZentrale, die in ihrem bisherigen Gebäude in der Überseestadt nicht bleiben konnte, selbst in die Könecke-Verwaltung ein, ganz unters Dach. Ebenfalls im obersten Stockwerk ist ein großes Café mit Panoramaterrasse und Blick über die Stadt geplant - als gemeinsamer Ort für alle Nutzer. „Das wird das Herzstück des öffentlichen Raumes", sagt Schnier. Dort könnte es zum Beispiel portugiesischen Kaffee geben: Thorsten Schott vom Café Lisboa in der Neustadt würde das Dach-Café gerne als zweiten Standort betreiben. Für den Cafébetrieb gibt es laut Schnier mehrere Interessenten.
Die Baubehörde unterstützt das Projekt: „Das ist ein besonderer Moment für Hemelingen", sagt Senatsbaudirektorin Iris Reuther. Das Könecke-Gelände und der Stadtteil würden „wachgeküsst": „Hier kann neues Leben beginnen." Reuther sprach der Zwischenzeitzentrale ihre Anerkennung aus und auch den Gebäudeeigentümern: „Ich habe höchsten Respekt, dass Könecke mit uns diesen Weg geht - das ist echte Kooperationsbereitschaft." Zuvor war allerdings offen, ob das Gebäude ein Ort der Zwischennutzung werden kann und soll: „Es war ein echter Krimi", sagt mancher, der es mit verfolgt hat.
Im Könecke-Gebäude soll der Quadratmeter vier Euro kalt kosten. „Vor ein paar Jahren war uns noch nicht so bewusst, in welchem Maße günstige Raummieten wichtig für Existenzgründer sind", sagt Stadtplaner Tom Lecke-Lopatta. „Das ist weitaus wichtiger als Hilfe bei der Steuererklärung." Jedes Jahr ziehen rund 25 000 Menschen neu aus dem In- und Ausland nach Bremen, sagt Lecke-Lopatta. Rund 15 000 davon würden bleiben. Um Neuankömmlinge anzulocken und zu halten, seien Räume wichtig, in denen sich innovative Neu- und Altbremer ausprobieren können.
Die ZZZ will im Bremer Osten nicht nur das Könecke-Gebäude umnutzen, sondern weitere Räume mit Leben füllen. Am Werrahafen entsteht im Rahmen des Projekts „Bay-Watch" ein Künstlerdorf.
Für das Könecke-Gebäude gibt es derzeit 60 Interessenten. Noch sind Räume frei. Wer Interesse hat, kann sich bei der ZZZ unter 695 81 26 oder per Mail an kontakt@zzz-bremen.de melden.
Die Könecke Wurstfabrik
Der Bremer Karl Könecke gründete 1929 eine kleine Schlachterei in Walle, aus der bald eine Fleischwarenfabrik entstand. Im Zweiten Weltkrieg wurde der gesamte Betrieb in Walle bei einem Bombenangriff zerstört. Nach dem Krieg zog die Wurstfabrik auf das neue Produktionsgelände in Sebaldsbrück. Die Firma wuchs weiter. 2006 wurde Könecke an die Zur-Mühlen-Gruppe mit Sitz in Schleswig-Holstein verkauft. Die Würste werden heute in Delmenhorst und in Polen produziert. 2012 wurde das Werk in Sebaldsbrück geschlossen, vor einem Jahr zog auch die Verwaltung um.
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