Von der Überseestadt nach Hemelingen
Eintrag von am 12.01.2015
Gedrückte Stimmung in der alten Zoll-Lkw-Abfertigung am Hansator: Fast sieben Jahre lang haben die 16 kreativen Zwischennutzer „ihre" Abfertigung gehegt und gepflegt - Ende März müssen sie das auffällige ovale Gebäude nun verlassen. Zweirad Stadler baut auf dem Nachbargrundstück und will die Abfertigung zukünftig als Café nutzen. Die ZwischenZeitZentrale, bisheriger Abfertigungs-Hauptmieter, zieht nach Hemelingen weiter.
VON ANNE GERLING
Überseestadt. Dass die Kündigung irgendwann kommen würde, das war allen Beteiligten schon länger klar. Seit Weihnachten ist die Sache jetzt besiegelt: Nach nunmehr fast sieben Jahren muss die 16-köpfige Atelier- und Bürogemeinschaft „Abfertigung" zum 31. März aus der ehemaligen Lkw-Abfertigung des Zollamts Hansator ausziehen.
Hauptmieter des Gebäudes ist das Autonome Architektur Atlerie (AAA), das von hier aus im Auftrag des Landes Bremen für befristete Projekte Immobilien und Liegenschaften an Zwischennutzer vermittelt. Die ZZZ - das sind heute Architekt Daniel Schnier und Stadtplaner Oliver Hasemann. Im Januar 2007 hatten sie zu einem urbanen Spaziergang eingeladen und dabei auch einen Vertreter der Bremer Investitions-Gesellschaft (BIG) kennengelernt, aus der später die Wirtschaftsförderung Bremen (WFB) wurde.
„Wir waren mittellose Spaziergänger und haben uns in WG-Zimmern und Küchen getroffen", erzählt Daniel Schnier. Und dann das - die BIG stellte den jungen Kulturschaffenden zum 1. Mai 2008 die rund 300 Quadratmeter große Immobilie am einstigen Eingangsbereich zu den stadtbremischen Freihafengebieten zur Verfügung.
Untermieter waren schnell gefunden. „Nach acht Wochen war es voll", erzählen Schnier und Hasemann, die 2006 das Autonome Architektur Atelier (AAA) gründeten und 2009 von der Stadt den Auftrag bekamen, leerstehende Gebäude oder Brachflächen einer Zwischennutzung zuzuführen: Die ZZZ war geboren und die Abfertigung war zum Labor- und Testraum für eine kreative Büro- und Ateliergemeinschaft geworden.
„Das Hansator war für die ZwischenZeitZentrale eine gute Referenz", sagt Hasemann, während er von seinem Schreibtisch aus dem Fenster in Richtung Tabakbörse blickt. Alte Pläne zeigen: Dort stand noch bis 2006 ein zweites ellipsoides Gebäude, baugleich mit der Abfertigung. Seit dessen Abriss rangierten und parkten Lkw auf der Brachfläche, wobei sie in trockenen Sommern regelrechte Sandstürme verursachten, erinnert sich Oliver Hasemann.
Demnächst will Zweirad Stadler, aktuell noch Mieter an der Duckwitzstraße in der Neustadt, hier ein schuppenähnliches Verkaufsgebäude errichten. In dem ovalen, 1961 gebauten und 2006 vom Zoll aufgegebenen Abfertigungsgebäude will das Unternehmen dann ein Café eröffnen.
Klar, dass diese Pläne bei den derzeitigen Abfertigungs-Nutzern für Wehmut sorgen. Sie hatten sich vor einigen Jahren selbst als Käufer für das Gebäude ins Spiel gebracht, doch der Kaufpreis war am Ende wohl zu hoch.
Bevor sie gehen, würde Schnier gerne noch einen Bestandsschutz für eine Pflanze vereinbaren, die offensichtlich seit Bezug des Gebäudes dort wächst und mittlerweile die gesamt Fensterfront eingenommen hat.
Und Hasemann? „Ich habe mir immer gewünscht, dass die Abfertigung stehen bleibt. Als wir hier einzogen, war der Stand, das Gebäude später einmal abzureißen", sagt er. Dass das Gebäude nun erhalten bleibt, freut ihn. Und das ist Schniers Ansicht nach insbesondere auch den Kreativen zu verdanken, die die Abfertigung fast sieben Jahre lang gepflegt, bespielt und regelmäßig beheizt haben.
Darunter war zum Beispiel Haleh Soleymani, die mittlerweile die Volkshochschule West in der Alten Feuerwache in Gröpelingen leitet. Oder AAA-Mitbegründer Alexander Kutsch, der inzwischen als Quartiermanager im Ruhrpott arbeitet. Auch die Abfertigung selbst erlangte eine gewisse Berühmtheit: Als „Tatort"-Location wurde sie für eine Woche komplett zu einem Polizeirevier umgebaut.
Sieben Graffiti-Anschläge, einen Einbruch, diverse Heizungsausfälle und zwei Wasserschäden überstand die Ateliergemeinschaft im Laufe der sieben Jahre in der Abfertigung. Im April wird das AAA nun in einen ehemaligen Fabrikationskomplex in Hemelingen umziehen. „Wurst! Alles andere ist Käse", sagt Hasemann.
Die WFB hat ihnen dort Kontakt zu einer leerstehenden Immobilie vermittelt, als Alternative hatte sie Räumlichkeiten in Schuppen 3 angeboten. „Aber da wären wir vom Regen in die Traufe gekommen", sind sich Schnier und Hasemann angesichts der städtischen Pläne zum Schuppen-3-Umbau einig. Dass die Überseestadt immer teurer und damit ein Miteinander unterschiedlicher Milieus immer schwieriger wird, bedauern sie.
Rund 100 Interessenten stehen derzeit auf der ZZZ-Liste - die Nachfrage nach günstigen Räumen, in denen sich junge Kreative ausprobieren können, sei also definitiv da, sind Schnier und Hasemann überzeugt. Dem stehe der derzeitige Trend zum Investieren in „Betongold" gegenüber. Außerdem brauche die Stadt momentan Immobilien als Flüchtlingsunterkünfte. „Es gibt aber noch Angebote, die wegen ihrer Lage noch relativ schwierig sind", ist Hasemann überzeugt. Solche Räume wollen Schnier und Hasemann künftig von Hemelingen aus aufschließen. „Unsere Zeit in der Abfertigung war die Zeit, wo wir uns mit unserer Arbeit etabliert haben", sagt Hasemann. „Wenn wir hier rausgehen, dann nicht als Newcomer, sondern als Macher, die ein Konzept umgesetzt haben und nachgewiesen haben, dass es funktioniert!"
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