ZwischenZeitZentrale Bremen

Leere Räume provozieren die Fantasie

Eintrag von am 04.04.2011

Weserkurier4411

Die Kreativen Teil 6: Autonomes Architektur Atelier sucht nach neuen Möglichkeiten der Stadtentwicklung

Von Annemarie Struss-V. Poellnitz Bremen. Der Name ist nicht unbedingt selbsterklärend: AAA/ZZZ. Er weckt aber Neugier auf das Autonome Architektur Atelier/ZwischenZeitZentrale. Das erste ist der Firmenname, das zweite ein Projekt. Die Firma AAA, das sind Daniel Schnier und Oliver Hasemann mit den externen Partnern Sarah Oßwald (Berlin) und Michael Ziehl (Hamburg). ZZZ ist ein Pilotprojekt des Bundes und des Landes Bremen. Es geht um die Zwischennutzung von Leerständen und Brachen.
Das Büro von AAA in der Abfertigung des alten Zollamts am Bremer Hansator 1 ist selbst eine Zwischennutzung, auch wenn die jetzt schon drei Jahre dauert. In dem ovalen, blassgelb verklinkerten Gebäude empfängt uns Daniel Schnier in einem kultverdächtigen 60er-Jahre-Ambiente, ein bisschen unordentlich (er entschuldigt sich, aber nicht wirklich) - alles so, wie man sich die kreative Bohème vorstellt. Schnier, vermutlich ein grundsolider Familienvater - der 34-Jährige hat zwei kleine Kinder - zelebriert das gern ein bisschen. Die Büromöbel stammen aus dem Haus des Reichs und sollten eigentlich verbrannt werden, erzählt Schnier, während er Lena Fricke, der ersten bezahlten Mitarbeiterin des Teams, einen Kaffee einschenkt. Der Laserdrucker wurde aus der Justizvollzugsanstalt übernommen. Er passt stilistisch nicht ganz, aber da geht im Zweifelsfall Funktion vor Form. Die hübsch-hässliche Stehlampe mit braunem Blätterdekor fügt sich dagegen ideal ins Ensemble. Auch das gehört zum Konzept: der Wegwerfgesellschaft etwas entgegensetzen, Möbel, Bauteile und ganze Gebäude möglichst wiederverwerten. Jetzt kommt auch Partner Oliver Hasemann (35). Er hatte noch einen Termin. Sie haben inzwischen viele Termine - Mailand, Berlin, New York. Was tun mit urbanen Räumen, die frei werden, zu veröden drohen, während gleichzeitig immer mehr Menschen in die Ballungsgebiete drängen? Das treibt viele um. Und auch wenn es in Bremen nicht so wahrgenommen wird: Das Modell der ZwischenZeitZentrale erregt international Aufmerksamkeit.

Verödende Städte Bilder von Detroit liefen im letzten Jahr durch die Medien, Bilder von einer durch den Niedergang der Autoindustrie verödenden Stadt, ganze Viertel, in denen niemand mehr lebt. Die Niederländer haben genau das entgegengesetzte Problem: Zu wenig Platz für eine wachsende Bevölkerung. Aus Groningen brachten Schnier und Hasemann eine Grafik mit dem Titel "Vacant NL" mit, leere Niederlande. Eine Architektengruppe hat darauf alle leerstehenden Gebäude von Amsterdam aneinandergereiht: mehrere Quadratkilometer Platz für Wohnungssuchende
Aber oft gehört dieser Platz Investoren oder Privatleuten, die dort nicht investieren können oder wollen. Die Gebäude verfallen oder werden verwüstet. Genau da setzt das Modell der ZwischenZeitZentrale an. Es geht vor allem um Leerstände, die der Stadt gehören. Das alte Zollamt etwa ist Teil des Sondervermögens Überseestadt, verwaltet von der WFB. Die WFB schrieb 2007 das Projekt ZZZ aus, Schnier und Hasemann bewarben sich und bekamen 2009 den Zuschlag. Zuvor mussten sie AAA aber noch als Existenzgründer zu einer richtigen Firma machen.
Gefunden haben sich die beiden über das Internet. Dort suchte Schnier, der in Bremen Architektur studiert hatte, einen Partner, den er in dem Raumplaner Hasemann fand. Beide wollten im Bereich Stadtplanung/Architektur Projekte entwickeln. Daraus entstanden zunächst die "Urbanen Spaziergänge", die sie in Bremen anbieten. Das sind nicht einfach Stadtführungen, sondern ungewöhnliche Touren wie die Untertage-Wanderung, die abends im Dunkeln unter der Hochstraße entlang bis zum Doventor führte und den poetischen Titel "Zwischen Stelzenwald und Kantsteinstrand" trug.
Aber eben darum geht es: Einen neuen Blick auf die Stadt entwickeln, die Poesie von Brachen wie dem leeren Platz vor ihrem Büro in der Abfertigung entdecken, auf dem bis vor kurzem noch die Laster aus Polen und Bulgarien parkten. "Da könnte man einen Flohmarkt veranstalten, eine Verbindung zwischen Walle und der Überseestadt herstellen", denkt Schnier laut vor sich hin. Den Vorschlag haben sie schon mal gemacht, es gäbe auch einen Veranstalter, aber die Bürokratie...
Der größte Erfolg war ein Stadtspaziergang durch die Überseestadt mit 150 Teilnehmern, darunter viele ehemalige Hafenarbeiter. "So etwas lebt davon, dass sich plötzlich jemand meldet und anfängt zu erzählen, wie es damals war", sagt Hasemann. Unter den Teilnehmern war auch Dieter Russ von der Wirtschaftsbehörde. Dem gefiel nicht alles, was er hörte, von vielem war er aber auch beeindruckt und bat die Beiden zu einem Gespräch. So entstand der Kontakt zur WFB und schließlich die Bewerbung für das Projekt ZZZ.
Das läuft Ende 2012 aus. Und dann? Ja, sagt Schnier, man müsse schon mal darüber nachdenken, was dann komme. Vielleicht geht es doch irgendwie weiter. Alles ein bisschen prekär. Mit vier Leuten teilen sie sich 1,5 Stellen, "fette Stellen", meinen einige in der Szene, aber so ist das natürlich nicht. Alle vier haben noch weitere Jobs und Projekte. Michael Ziehl hat sich in Hamburg in der Diskussion um das Gängeviertel einen Namen gemacht, Sarah Oßwald scheint das große Los gezogen zu haben: Sie betreibt mitten in Berlin, in einem ehemaligen Schwimmbad in der Nähe des Lehrter Bahnhofs, einen Campingplatz - eine Goldgrube, glaubt Schnier. Die beiden Externen haben sie zu AAA geholt, um nicht zu stark auf Bremen fixiert zu sein, sagt Hasemann, und natürlich sind Szene-Promis wie Ziehl und Oßwald gut für das Image.
"Was würdest Du machen, wenn Dir jemand eine Stelle mit 8000 Euro im Monat anbieten würde?" fragt Hasemann den Kollegen. "Und das hier alles aufgeben?", fragt Schnier zurück. Im Winter sei es schon manchmal verdammt kalt gewesen, sagt er. Die Fenster vor dem Büro sind zwar doppelt verglast, nicht aber die Glaswand zum Flur.
ZZZ funktioniert so: Die WFB überträgt AAA als Hauptmieter die Nutzung leerer Gebäude und die suchen Mieter, die für begrenzte Zeit dort einziehen, eine symbolische Miete zahlen und die Räume dafür auf eigene Kosten heizen und renovieren. Das läuft so lange, bis sich ein Investor findet oder der Abrissbagger kommt. An der Vermietung verdient ZZZ nichts. Die WFB finanziert lediglich die 1,5 Stellen, die sich die Vier teilen.
Projekte wie ZZZ, die es so ähnlich in anderen europäischen Ländern gibt, haben nicht zuletzt das Ziel, junge Kreative in der Region zu halten, der internationalen Sogwirkung von Berlin etwas entgegenzusetzen. So ein Versuch ist auch die Plantage 9 in Findorff. Die Stadt hat das bisher gewerblich genutzte Gebäude gekauft, das irgendwann abgerissen werden soll, und überließ es ZZZ. Interessierte Zwischennutzer fanden sich schnell. Die Veganbar, die Marc Moog dort betreibt, hat es über das Internet schon zu einiger Berühmtheit gebracht. Auch die Mitglieder der Bremer Philharmoniker verköstigen sich dort, wenn sie nebenan proben. Fotografinnen, Designer, Bildhauer und eine Fahrradmanufaktur testen hier den Sprung in die Selbstständigkeit. Am 10. April ist Tag der offenen Tür, eine gute Gelegenheit, sich das mal anzusehen.
Freihafen 3 ist eine private Initiative zur Wirtschaftsförderung, ganz ohne den Staat. Wie das funktioniert, erfahren Sie in der nächsten Folge am kommenden Montag.

© Copyright Bremer Tageszeitungen AG Ausgabe: Verdener Nachrichten Seite: 13 Datum: 04.04.2011